Eine überarbeite Version zur Verhinderung der Unter- bzw. Überversorgung mit Medikamenten geriatrischer Patienten ist in Age and Ageing 2014 erschienen, hier eine deutsche Übersetzung daraus:
Startkriterien
Kardiovaskuläres System
- Phenprocoumon oder neue orale Antikoagulantien bei Vorhofflimmern
- ASS 100 mg tgl. bei Kontraindikationen für orale Antikoagulantien
- Thrombozytenaggregationshemmer bei KHK, Schlaganfall oder pAVK
- Antihypertensiva bei dauerhaft RRsyst. > 140 mmHg und/oder RRdiast. > 90 mmHg, bzw. RRsyst. > 140 mmHg und/oder RRdiast. > 90 mmHg bei Diabetikern
→ nach SHIP Studie evntl. bei guter Verträglichkeit Zielwert generell < 140 mmHg systolisch! - Statin bei KHK, Schlaganfall, pAVK außer in der terminalen Lebensphase oder Alter > 85 Jahre
- ACE-Hemmer bei systolischer Herzinsuffizienz und/oder KHK
- Betablocker bei KHK
- Bisoprolol, Nebivolol, Metoprolol oder Carvedilol bei stabiler syst. Herzinsuffizienz
Respiratorisches System
- Inhalativer LABA oder LAMA bei leicht bis mittelschwerem Asthma bronchiale oder COPD
- Inhalatives Glucocorticosteroid bei mittel bis schwergradigem Asthma bronchiale oder COPD wenn die FEV1 < 50% der Norm und mehrfache Exazerbationen in der Vorgeschichte mit Behandlung durch orale Glucocorticoide
- Heimsauerstoff bei chronischer Hypoxämie (pO2 < 55 mmHg, SaO2 < 89%)
Zentrales Nervensystem und Augen
- L-Dopa oder Dopaminagonist bei idiopathischem Parkinson mit funktionellen Einschränkungen und resultierender körperlicher Beeinträchtigung
- Antidepressiva (keine Trizyklika!) bei Major Kriterien einer Depression
- Acetylcholinesterase Inhibitoren bei leicht – bis mittelschwerer Alzheimer Demenz oder Lewy Body Demenz
- Augentropfen bei primärem Offenwinkel Glaukom (Betablocker, Prostaglandine)
- SSRI (oder SNRI oder Pregabalin bei Kontraindikationen für SSRI) bei schwerer Angststörung mit Beeinträchtigung der funktionellen Unabhängigkeit
- Dopaminagonist (Ropinirol oder Pramipexol oder Rotigotin) bei Restless Legs Syndrom nach Ausschluss eines Eisenmangels und einer fortgeschrittenen Niereninsuffizienz
Gastrointestinales System
- PPI bei schwerer gastroösophagealer Refluxerkrankung oder peptischen Strikturen mit erforderlicher Dilatation
- Ballaststoffreiche Nahrung bei Obstipation mit Divertikulose
Muskuloskeletales System
- DMARD bei aktiver rheumatoider Arthritis
- Bisphosphonat mit Vitamin D und Calcium bei Patienten unter längerfristiger hochdosierter systemischer Steroidtherapie
- Vitamin D Substitution bei bekannter Osteoporose
- Antiresorptive oder Anabole Therapie bei Osteoporose (Bisphosphonat, Strontium, Teriparatid, Denosumab) ohne Vorliegen von Kontraindikationen
- Vitamin D bei rez. Stürzen oder Osteopenie oder bei fehlendem Verlassen der eigenen Wohnung
- Allopurinol oder Febuxostat nach Gichtanfällen
- Folsäure bei Therapie mit MTX
Endokrines System
- ACE-Hemmer oder AT1-Blocker bei Diabetes mit Nephropathie (Proteinurie oder Albuminurie > 30mg/24h) mit oder ohne Erhöhung der Nierenretentionswerte
Urogenitales System
- Alpha-1-Blocker bei Benigner Prostatahyperplasie wenn noch keine TUR-P indiziert, bzw.
- 5-alpha Reduktase Inhibitor bei Benigner Prostatahyperplasie wenn keine TUR-P indiziert
- Topische vaginale Östrogene oder Pessar bei symptomatischer atrophischer Vaginitis
Schmerztherapie
- Stark potente Opioide bei mittel – bis starken Schmerzen wenn Paracetamol oder NSAID Kontraindiziert oder nicht ausreichend wirksam
- Laxantien unter Opiattherapie
Impfungen
- Jährliche Influenzaimpfung
- Mindestens einmalig Pneumokokken Impfung im Alter > 65 Jahren
Stopp-Kriterien
Indikationsprüfung
- Alle Medikamente ohne gesicherte Evidenz
- Alle Medikamente über den empfohlenen Zeitraum hinaus
- Zwei Medikamente der gleichen Wirkstoffgruppe (zuerst Monotherapie optimieren)
Kardiovaskuläres System
- Digitalis bei Herzinsuffizienz mit normaler syst. LV-Funktion
- Verapamil oder Diltiazem bei Herzinsuffizienz NYHA III bis IV
- Betablocker mit Verapamil oder Diltiazem
- Betablocker bei Bradykardie < 50/min, Blockbild ≥ II. Grades
- Primär Amiodaron bei supraventrikulären Tachyarrhythmien (erst Betablocker, Digitalis, Verapamil bei besserer Verträglichkeit)
- Schleifendiuretika bei Hypertonie, schon gar nicht bei Urininkontinenz
- Schleifendiuretika bei Knöchelödemen ohne Zeichen einer Herzinsuffizienz, Leberinsuffizienz oder Niereninsuffizienz (Kompressionsstrümpfe!)
- Thiazide bei K+ < 3 mmol/l, Na+ < 130 mmol/l, korrigiertem Ca2+ > 2,65 mmol/l oder bei bekannter Gicht
- Zentrale Antihypertensiva (z.B. Clonidin, Moxonidin), es sei denn bei Unverträglichkeit bzw. mangelnder Effektivität anderer Antihypertensiva
- ACE-Hemmer oder AT1-Blocker bei Hyperkaliämie
- Aldosteronantagonisten in Kombination mit ACE-Hemmern oder AT1-Blockern ohne mindestens 6 monatliche Kaliumkontrollen
- Phosphodiesterase-5-Inhibitoren bei schwerer Herzinsuffizienz mit Hypotonie (RRsyst. < 90 mmHg) oder in Kombination mit Nitraten
Blutgerinnungshemmer
- ASS über längere Zeit > 160 mg tgl.
- ASS bei Ulcusleiden ohne PPI
- ASS / Phenprocoumon / NOAK’s bei erheblichem Blutungsrisiko (z.B. unkontrollierte arterielle Hypertonie, abgelaufene schwere Blutungen)
- ASS + Clopidogrel als Sekundärprophylaxe nach Schlaganfall außer nach Stentimplantation innerhalb der letzten 12 Monate
- ASS mit Phenprocoumon oder NOAK bei Vorhofflimmern (ASS absetzen!)
- Thrombozytenaggregationshemmer mit NOAK/Phenprocoumon bei stabiler KHK, pAVK, cAVK
- Ticlopidin (besser Clopidogrel, Prasugrel o.ä.)
- Orale Antikoagulantien nach erster tiefer Beinvenenthrombose über mehr als 6 Monate
- Orale Antikoagulantien nach erster Lungenarterienembolie über mehr als 12 Monate
- NSAID mit Thrombozytenaggregationshemmer ohne PPI Prophylaxe
Zentrales Nervensystem
- Trizyklische Antidepressiva bei Demenz, Engwinkelglaukom, kardialen Leitungsstörungen, benigner Prostatahyperplasie oder Überlaufblase
- Trizyklische Antidepressiva als ersten Therapieversuch einer Depression (besser SSRI oder SNRI)
- Neuroleptika mit anticholinergem Wirkungsprofil bei benigner Prostatahyperplasie / Überlaufblase (z.B. Clozapin)
- SSRI bei Hyponatriämie (Na+ < 130 mmol/l)
- Benzodiazepine ≥ 4 Wochen (cave vorsichtig ausschleichen)
- Neuroleptika (außer z.B. Quetiapin oder Clozapin) bei Parkinson oder Lewy-Body Demenz
- Anticholinergika zur Therapie von Nebenwirkungen von Neuroleptika
- Anticholinergika bei Delir oder Demenz
- Antipsychotika bei Demenz möglichst vermeiden
- Neuroleptika zur Sedierung (außer Schlafstörungen wegen Demenz oder Psychose)
- Acetylcholinesteraseinhibitoren bei persistierender Bradykardie (<60/min), kardialen Blockierungen, ungeklärten Synkopen oder mit gleichzeitiger bradykardisierender Medikation
- Phenothiazine als Antipsychotika der ersten Wahl
- l-Dopa oder Dopaminagonist bei essentiellem Tremor (hilf nicht)
- Antihistaminika der ersten Generation
Renales System
- Digoxin > 125 µg/tgl. bei eGFR < 30 ml/min
- Dabigatran bei eGFR < 30 ml/min
- Faktor Xa Inhibitoren bei eGFR < 15 ml/min
- NSAID bei eGFR < 50 ml/min
- Colchizin bei eGFR < 10 (?) ml/min
- Metformin bei eGFR < 30 ml/min
Gastrointestinales System
- Metoclopramid bei Parkinson
- PPI bei unkompliziertem Ulcus oder peptischer Ösophagitis für mehr als 8 Wochen in voller therapeutischer Dosis
- Medikamente mit bekannter obstipierender Wirkung (z.B. Anticholinergika, orales Eisen, Verapamil, Opiate) wenn Alternativen verfügbar
- Mehr als 200 mg elementares Eisen p.o. (mehr wird nicht resorbiert)
Respiratorisches System
- Theophylin als Monotherapie bei COPD
- Systemische Glucorticoide anstatt inhalative Verabreichung bei mittel- bis schwergradiger COPD
- LAMA (z.B. Tiotropium) bei Engwinkelblockglaukom
- Unselektive Betablocker (auch topisch!) bei behandlungsbedürftigem Asthma bronchiale
- Benzodiazepine bei akuter oder chronischer respiratorischer Insuffizienz
Muskuloskeletales System
- NSAID außer COX-2-Hemmer bei Ulcus, gastrointestinaler Blutung außer mit PPI oder H2-Antagonist
- NSAID bei schwerer Hypertonie oder Herzinsuffizienz
- NSAID mehr als 3 Monate wenn Paracetamol nicht versucht
- Glucocorticoide über mehr als 3 Monate bei rheumatoider Arthritis als Monotherapie
- Steroide bei Arthrose (außer zur intraartikulären Anwendung)
- NSAID oder Colchizin über mehr als 3 Monate bei Gicht ohne Kontraindikationen für Xanthin-oxidase Inhibitoren
- COX-2-Hemmer bei kardiovaskulären Erkrankungen
- Bisphosphonate oral bei z.B. Dysphagie, Ösophagitis, Gastritis, Duodenitis, Ulcus oder oberen gastrointestinalen Blutungen
Urogenitales System
- Muskarinrezeptorantagonisten bei Demenzerkrankungen oder Engwinkelblockglaukom, benigner Prostatahyperplasie
- Alpha-1-Blocker bei symptomatischer orthostatischer Hypotonie oder Miktionssynkope
Endokrines System
- Langwirksame Sulfonylharnstoffe bei Diabetes mellitus Typ II
- Thiazolidindione bei Herzinsuffizienz
- Betablocker und Diabetes mellitus mit häufiger Hypoglykämie
- Östrogene nach Mammakarzinom oder venösen Thrombosen
- Orale Östrogene ohne Progesteron und nicht entferntem Uterus (Endometriumkarzinome!)
- Androgene außer bei primärem oder sekundärem Hypogonadismus
Medikamente mit erhöhter Sturzgefahr
- Benzodiazepine
- Neuroleptika
- Vasodilatoren (z.B. alpha-1-Blocker, Calciumantagonisten, langwirksame Nitrate, ACE-Hemmer, AT1-Blocker) bei gleichzeitigen symptomatischen orthostatischen Hypotonien
- Z-Substanzen (z.B. Zolpidem, Zopiclon)
Analgetika
- Orale oder transdermale starkwirksame Opiate als Mittel der ersten Wahl für leichte Schmerzen
- Opiate ohne Laxantien
- Langwirksame Opiate ohne akut-wirksame Bedarfsanalgetika
Anticholinergika/Muskarinrezeptorantagonisten
- Zwei oder mehr Anticholinergika/Muskarinrezeptorantagonisten gleichzeitig (Spasmolytika, Trizyklika, Antihistaminika der 1. Generation)